Inklusion (Blogparade #Einschulung)

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Die Bloggerin Mama Notes hat in ihrem aktuellen Beitrag ihre Gedanken zum Thema Einschulung aufgeschrieben und eine Blogparade gestartet. Zwar habe ich noch nie bei einer Blogparade mitgemacht, da ich meinen Blog weniger für die Eltern-Allgemeinheit ausrichte als für sehr spezielle Themen, die meine sehr speziellen Kinder und mich betreffen, doch zum Thema Einschulung juckt es mir in den Fingern. Und beim Lesen des folgenden Satzes von Mama Notes musste ich sehr schlucken.

„Wir machen Inklusion jetzt seit 5 Jahren hier auf unserer Schule. Und gemessen an der Zeit, in der es Schulen gibt, nämlich seit Anbeginn der Zeit, sind 5 Jahre natürlich ein Wimpernschlag. Darum finde ich, wir machen das schon ganz gut mit der Inklusion.“

Mama Notes schreibt, dieser Satz lasse ihr das Blut in den Adern gefrieren und das ihr die Kinder mit Behinderung leid täten. Das kann ich absolut verstehen.

Unser Sohn wurde letztes Jahr im August auf eine Regelschule eingeschult. Als Inklusionskind. Er hat die Förderschwerpunkte Sprache und emotionale und soziale Entwicklung. Die Schule machte erst im zweiten Jahr Inklusionsunterricht und die Regelpädagogin hatte keine Erfahrung mit dieser Schulform. Die Sonderpädagogin war leider nicht auf den Förderschwerpunkt unseres Sohnes spezialisiert und kam frisch aus dem Referendariat. Das alles ist meiner Meinung nach aber kein Hinderungsgrund für einen erfolgreichen Unterricht. Wir wollten das Abenteuer Inklusion wagen. Vorher hat unser Sohn einen integrativen Kindergarten besucht und kam dort gut zurecht. Auf Anraten der Kindergartenleitung haben wir uns um eine Schulbegleiterin bemüht. Uns wurde eine 16-jährige Schülerin zugeteilt, die zwar sehr nett war, doch völlig überfordert mit der Aufgabe wie sich schnell herausstellte.  Die Schulleitung war bei der Anmeldung sehr bemüht, kam sogar in den Kindergarten und nahm sich Zeit für uns Eltern, damit wir die Schwierigkeiten unseres Sohnes erklären konnten. Organisatorisch schien mir alles recht gut geregelt zu sein und wir hatten ein gutes Gefühl.

Zwei Monate später wechselte der Schulbegleiter, zudem begann ich, mich nach einer Schulalternative umzusehen, kontaktierte verschiedene Sonderschulen und traf mich zu Gespräch mit den Schulleitern. Drei Monate später meldeten wir unseren Sohn auf einer Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale- und soziale Entwicklung an. Noch im Dezember war die Eingewöhnung.

Ich könnte hier seitenweise Ausführungen schreiben über unsere ganz persönliche Situation. Es war eine sehr stressige, schmerzvolle Zeit, in der ich als Mutter viel über das Schulsystem und über mein Kind gelernt habe. Anstatt jedoch jedes Detail aufzukochen, möchte ich lieber zusammenfassen, welche Erkenntnisse ich nun nach einem Jahr Schule habe:

  • Förderschulen haben ihre Berechtigung, denn sie sind spezialisiert und haben Erfahrung mit den jeweiligen Behinderungen
  • Der Inklusionsgedanke ist toll. Ich bin absolut dafür.
  • Ein Kind mit Behinderung in einer Regelschule beschulen zu lassen, ihm jedoch einen Schulbegleiter zur Seite zu stellen, kann sinnvoll sein. Es kann aber auch in die Hose gehen. Mein Sohn fühle sich anders, überwacht, bedrängt, kaum unterstützt. Die Begleiterin war überfordert.
  • Irgendwas am System hakt. Nur mit einer Diagnose (die wir mittlerweile haben) bekommt man einen fachlichen Begleiter zugeteilt. Dieser wäre sicher nicht so überfordert gewesen. Mein Sohn hätte wahrscheinlich bereits vor seiner Diagnose einen fachlichen Begleiter benötigt. Kinder sollten die Unterstützung bekommen, die sie tatsächlich benötigen. Unterstützung nach individuellem Bedarf, nicht nach Diagnose.
  • Es gibt Lehrer/Innen, die Vorurteile haben gegenüber jungen Eltern. Ich wünsche mir mehr Toleranz und Respekt gegenüber behinderten Menschen und jungen Eltern. Ich wünsche mir Offenheit.
  • Wenn Inklusion noch im Aufbau ist, dann ist es für unerfahrenes Personal leichter, erst einmal Kinder mit leichten körperlichen Behinderungen als Inklusionskinder zu beschulen als seelisch und psychisch kranke Kinder.
  • Erstens kommt es anders als man es sich gewünscht hat, zweitens kommt es anders, als man es organisiert hat und drittens kommt es anders als man denkt.
  • Es gibt schlimmeres, als nach der ersten Klasse noch nicht lesen und schreiben zu können.
  • Eltern von Kindern ohne Behinderung müssen aufgeklärt und informiert werden, was Inklusion bedeutet. Wer nicht informiert ist, ist unsicher. Unsicherheit und Unwissenheit führt automatisch zu Vorurteilen und im Zweifel zu Angst.
  • Jede Lehrerin, jeder Lehrer, jedes Kind, jede Klasse ist anders und individuell. Was bei einem klappt, geht beim anderen schief. Nur durch Gespräche und die Offenheit für neue Lösungsvorschläge können wir ein angenehmes Schul- und Lernklima schaffen.
  • Gehen wir doch bitte offen um mit Behinderungen! Es gibt keinen Grund, diese geheim zu halten und den Eltern beim Elternabend die Anzahl und die Namen der Kinder mit Behinderungen oder besonderem Förderbedarf zu verschweigen. Früher oder später bekommen die anderen Kinder doch mit, welches Kind einen Schulbegleiter hat, welches Kind von der Sonderpädagogin mit Zusatzmaterial versorgt wird. Durch das Verschweigen machen wir die Behinderungen doch erst zu einem unnötig großen Thema! Und dann spricht mich der Vater eines Mitschülers fast flüsternd auf dem Schulweg an, weshalb mein Kind einen Einzelfallhelfer habe. Und dann fragt mich ein Mädel, ob die Frau denn die Schwester meines Sohnes sei. Das muss nicht sein.
  • Ich möchte bei meinem jüngeren Kind abermals das Abenteuer Inklusion wagen. Dann jedoch werde ich mich beim Elternabend an die anderen Eltern wenden und sagen: Hallo, ich bin Frau Taugewas, mein Kind ist sehbehindert und körperlich schwächer und auch generell entwicklungsverzögert und deshalb ist er I-Kind. Wenn sie Fragen habe, dann fragen sie. Wenn ihr Kind fragen hat, dann soll es fragen. Lassen sie uns drüber sprechen!  Das hätte ich besser auch bei meinem großen Kind tun sollen.
  • Eltern anderer I-Kinder sind unheimlich verständnisvoll, das habe ich gelernt.
  • Autistische Kinder benötigen eine ruhige Eingewöhnung und kleine Klassen.
  • Förderschulen für soziale- und emotionale Entwicklung sind keine Herbergen für vernachlässigten Raufbolden, von denen mein Sohn sich nur schlechtes Verhalten abgucken kann. Im Gegenteil.
  • Schule kann Kinder abends nicht schlafen lassen.
  • Schule ist nicht nur Ort der Bildung, OGS nicht nur Aufbewahrung.
  • Und zu Schluss noch eine wahnsinnig wichtige Erkenntnis ;) : Bei allen Grundschulen, die ich besucht habe, waren die Toiletten nicht sauber und es roch nach Urin. Aber das war auch in meiner Schulzeit schon so.

Wahrscheinlich kann ich in ein paar Monaten und auch Jahren noch viel, viel mehr erzählen zum Thema Einschulung und Inklusion. Die obige Liste ist auch nicht vollständig. Ich hatte und habe noch viel mehr Erkenntnisse. Was ich jedoch auf jeden Fall in wenigen Jahren zum Thema Einschulung schreiben möchte ist, dass wir beim Thema Inklusion einen oder zwei oder drei große Schritte weitergekommen sind. Da bin ich sehr zuversichtlich, dass das klappen wird.  Ja, es scheiterte bei meinem großen Sohn, zumindest in der Grundschulzeit.  Aber es kann auch klappen. Da bin ich mir sicher!

 

4 Gedanken zu “Inklusion (Blogparade #Einschulung)

  1. Mama notes 19. September 2015 / 12:49

    Vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag. Das wirft noch einmal ein ganz neues Licht auf das Thema Inklusion. Würdest Du denn nicht auch sagen, dass WENN eine Inklusion wirklich gut unterstützt und in einer Schule gelebt wird, dass es dann das bessere Modell wäre?

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    • Taugewas 19. September 2015 / 21:24

      Ich möchte lieber nicht von einem besseren oder schlechteren Modell sprechen. Was ist denn das Ziel? Dass sich alle Kinder wohl fühlen? Dass alle Kinder bestmöglich gefördert werden? Dass wir einem bestimmten Modell entgegenstreben? Mein Sohn z.B. hat sich inmitten der „bunten Vielfalt“ anders und nicht akzeptiert gefühlt. Auf der Sonderschule ist es „normal“ Verhaltensschwierigkeiten zu haben. Es ist „normal“, dass ab und an einer ausrastet. Jeder Schüler wird dort durch ein positives Verstärkersystem für „gutes Benehmen“ (Dinge, die auf einer Regelschule selbstverständlich sind) belohnt. Es klingt verrückt, aber zwischen Kindern mit ähnlichen Problemen fühlt er sich angenommener und normaler. Und das ist doch das Ziel der Inklusion, oder? Dass sich Kinder nicht ausgeschlossen fühlen. Mein Sohn fühlt sich auf der Sonderschule nicht ausgeschlossen. Ein Wutanfall in der Regelschule mit GU war ein großes Thema mit Elterngespräch und viel Unverständnis. Ein Wutanfall auf der Sonderschule gehört zur Normalität und wird nicht mehr kommentiert als nötig.
      WENN Regelschulen mit Inklusion/GU (gemeinsamer Unterricht) das leisten KÖNNTEN, was Sonderschulen leisten, dann wäre das natürlich das Sahnehäubchen. Wenn Inklusion tatsächlich geschultes, fachliches Personal hätte (ich komme aus einer Lehrerfamilie, habe im Verwandten- und Bekanntenkreis sowohl Regelschul- als auch Sonderpädagogen und im Studium studiere ich mit Lehrämtlern zusammen, ich kenne also die Unterschiede zwischen der normalen Lehrerausbildung und Sonderpädagogik), wenn die Klassen tatsächlich nur 8 bis 15 Schüler umfassen würden wie Sonderschulen, wenn es nicht nur Rollstuhlrampen und Kopfhörer für auditiv sensible Schüler gäbe, sondern auch Therapietiere, Psychomotorik, ein Bett für Schüler, die eine Mittagsruhe benötigen, Erziehungshilfen, Schwimmbad, doppelte Lehrerbesetzung und all die Dinge, die die Sonderschulen haben und die den Schulalltag mitgestalten und den Kindern helfen, trotz ihrer Behinderung erfolgreich zu lernen, DANN würde ich eindeutig sagen: JA, Inklusion ist „besser“ als als alle Förderkinder auf die Förderschule zu stecken.
      Doch so weit sind wir noch nicht. GU heißt zur Zeit über 15, meistens 25 Kinder. Eine Schule mit unerfahrenen Lehrpersonal (ich mache ja keinen Vorwurf, woher sollen Regelschulpädagogen denn auch Erfahrung mit Inklusion haben? Erst durch gelebte Inklusion bekommt man Erfahrung) und falschen Erwartungen. Uninformierte Eltern, unterschätzte Herausforderungen. Inklusion ist Neuland. Es kann nur gut und besser werden, wenn wir die Sache anpacken. Daher möchte ich ja auch unbedingt unser zweites Kind in den GU schicken, wenn er denn alt genug sein wird in 5 Jahren. Weil ich trotz all dem Misserfolg und all den tollen Erfahrungen an der durchaus berechtigten Förderschule an Inklusion glaube und sie mit antreiben will.
      Es ist jedoch ein sehr langer Weg und wir sind erst sehr am Anfang. Für Kinder wie meinen Sohn ist es noch zu früh.

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