Perfektionismus. Liebe geht durch den Magen.

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In der Küche.

„Magst Du mir beim Salat helfen?“ – „Ja, gerne, Mama!“

Er zupft.

„Mach nur die Hälfte, wir essen dazu noch Tomaten!“ 

Er: „Nein, ich habe gehört, dass das Papas Lieblingssalat ist, deswegen will ich alles machen.“  Wie lieb von ihm.

Ein Dialog wie im Rosabrillenland. Ein begeistertes, salatzupfendes Kind, das der Mutter gerne hilft, damit der Papa sein Lieblingsessen bekommt.Das kann nur schief gehen. Er zupft sorgfältig das kleine Wurzelende von den Blättern. Er hat drei Haufen: Einen Wurzelhaufen, einen mit dem Salat aus der Packung und einen mit dem gezupften Salat.

Irgendwann merke ich, dass es ihm zu viel wird. Ich sage: “Das reicht nun auch, wir wollen nur die Hälfte von dem Salat essen, weil noch Tomaten dazu kommen.“

Er zupft. Und zupft. Ich schneide Tomaten. Er zupft. Er zupft akribisch und genau. Zupf, zupf, zupf,  zupf. Er wird unkonzentrierter. Das Zupfen wird langweilig. Die Laune wird schlechter.  Er sagt: „Na guuuut, dann eben nur die Hälfte, dann schmeiß ich das nun in die Schüssel!“

Ich sage: „Okay, dann tu das. Danke für deine Hilfe!“

Er hält inne. Tut nichts. Wartet. Kann nicht handeln. Sein Gesicht sagt mir, dass er sehr unzufrieden ist mit der Situation. Rote Wangen. Die Schultern zucken. Er wollte den Salat komplett zupfen, es ist ihm gleichzeitig aber zu anstrengend. Meine entlastenden Worte sind ein weiterer Stoß in seinen Perfektionismus-Rücken.

„Dann tu ich das nun da rein, Mama!“ sagt er. Verzweiflung in seiner Stimme.

Er steht wippend am Tisch.

Meine Tomaten sind schon fertig.

„Dann mach das!“ sage ich. Fast wie eine Drohnung.

Pause.

Ein verzweifelt-erstarrter Junge vor dem Salat. Ich nehme den Salat und tu ihn in die Schüssel, den Rest wieder in die Tüte. Eine Millisekunde ist es still. Dann, endlich, die Reaktion. Mit wütender Stimme.

„Jetzt hast Du meine Ordnung kaputt gemacht, Mama!“

Es konnte nur schief gehen.

„Das war geordnet Mama, Du hast es kaputt gemacht!“

Wut. Gegenüber der Unordnung. Gegenüber dem Unverständnis. Gegenüber dem inneren Widerspruch, trotz des guten Vorhabens die anfänglich euphorische Stimmung verloren zu haben und es als anstrengend zu empfinden. Wut, weil er sich unfähig fühlt, seine Gefühle angemessen zu ordnen und zu artikulieren. Wut auf sich, auf den Salat und auf mich, die Mama.

Solche Wut übermannt.

Ablenkung hilft. Manchmal wenigstens.

„Schau, wir brauchen noch Gurken. Kannst Du die schneiden?“

Stille. Warten. Das kann jetzt helfen. Oder in die Hose gehen.

Heute ist ein guter Tag. Er reagiert. Jetzt sitzt er am Tisch und schneidet Gurkenräder.

Die Scheiben schneidet er mit kurzen, kleinen Schnitten ringsum ein.

„Ich präpariere die vor, damit der F. die besser essen kann!“

Wie lieb von ihm.

4 Gedanken zu “Perfektionismus. Liebe geht durch den Magen.

  1. Natalie 5. November 2015 / 23:18

    Hallo Taugewas,
    Ich hoffe Ihr habt den Salat genossen.
    Aber eigentlich wollte ich dir zu diesem schönen Blog gratulieren.
    Ich bin auf der Kaiserinnenreichseite über einen Kommentar von dir gestolpert, da ging es in etwa darum, dass, wenn du erzählst,dass dein Kind 19 Monate alt ist, totsicher die Frage kommt, warum es denn noch nicht läuft.
    Genau wie bei uns
    Das hat mich hergelockt und ich lese deine Art zu schreiben echt gern. Wenn meine beiden „special edition“-Kinder auch ganz andere Besonderheiten haben, ich schau‘ bestimmt mal wieder rein
    Natalie

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  2. Taugewas 5. November 2015 / 23:23

    Hallo Natalie,

    danke für Deinen Kommentar, es freut mich, dass Dir der Blog gefällt :-)
    Langsam aber sicher fängt mein Kleiner nun an zu laufen, es sieht sehr niedlich aus, weil er alle paar Schritte hinfällt, aber immerhin :-)
    Alles Gute Dir und Deinen Kindern!!

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  3. Kerstin 6. November 2015 / 14:44

    Liebe Taugewas!
    Solche oder vielmehr ähnliche Situationen erlebe ich mit unserem Grossen auch. Nur leider bekomme ich meist nicht so elegant die Kurve zu den Gurkenscheiben. Es ist im Gegenteil leider immer noch so, dass dieser Stimmungsumschwang, den man- so finde ich- als Mutter fast körperlich fühlen kann- mich oft so erwischt als würde mir jemand Eiswürfel in den Ausschnitt schütten. Ich sehe die Katastrophe auf mich zurollen und stehe da wie im Auge des Tornados.
    Bei uns ist zb Kleidung ein ganz grosses Thema, weil mein Sohn 80% aller gekauften Kleidungsstücke nicht ertragen kann: Knöpfe an Hosen: geht gar nicht und neuen Sachen wird sowieso fast immer mit großem Misstrauen begegnet.
    Ich bewundere dich..von ganzem Herzen .
    LG Kerstin

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  4. Taugewas 7. November 2015 / 7:41

    Liebe Kerstin,

    vielen Dank für Deine lieben Worte!!
    Oh ja, Auge des Tornados, das beschreibt es gut. Nicht immer klappt es bei uns gut mit Ablenkung und nicht immer kann ich in der Situation Verständnis aufbringen.
    Manchmal leide ich mit, manchmal bin ich ratlos.
    Bei uns sind es die Socken und alles kurzärmlige..
    Alles Gute Euch :-)

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