Mein Kind vom Mond

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Woran merken Sie denn die Hypotonie bei Ihrem Sohn? Wie macht die sich bemerkbar?“ möchte der Anästhesist vor der OP wissen. „Na, wissen Sie, der kommt vom Mond. Dort ist es ja nicht so mit der Schwerkraft wie hier auf der Erde. Und hier ist er also schlapp, schnell erschöpft, wackelig und so.“

Mein Mondling. Mein Gummibär. Angepasst an andere Umweltbedingungen. Angepasst an den Mond. Atmen ist dort überflüssig. Als der Mondling auf der Erde landete, da musste er das Atmen erst lernen. Erst hielt er es nicht für nötig, aber nun weiß er es. Und es geht. Das Wachsen fällt hier schwerer. Bestimmt liegt es an der Erdanziehung. Bewegung ermüdet. Dann, ab und an, legt er das schwere Köpfchen auf den Boden, auf die Erde. Als ob er prüfen will, ob da immer noch die Erde ist. Unter ihm. Sie ist da.

Der Mond ist weit entfernt. Ein milchiger Fleck am Himmel. Ich sehe ihn, blass, eine angebissene Oblate. Da kommst Du her, Mondling? Du siehst den Milchfleck nicht. Deine Augen gucken nur bis zu den Füßen. Von denen ziehst Du dir die Socken ab und steckst sie in den Mund wie Brot.

Cutis laxa lesen wir in dem Arztbericht und ziehen unsere Haut an Hals und Händen nach links und rechts und oben, um zu gucken, ob wir auch cutis laxa haben. Cutis ja, laxa wohl eher nicht. Aber was ist schon lax? Auf dem Mond scheint das normal zu sein. Diese Schwabbeligkeit. Und Milchtrübigkeit. Und Müdigkeit. Dort tanzen Mondlinge wie Federn in der Luft. Nur ohne Luft. Hier wanken sie. Und wackeln. Und laufen betrunken von der Erdenluft einen Meter, taps, taps, taps, und noch einen Meter. Plumps. Und krabbelt weiter, denn das geht.

Der Mondling. Der Gummibär. Schmeißt alles aus den Händen und wartet. Auf das Plumps. Das kommt viel schneller als auf dem Mond. Darüber lacht er. Und wedelt vor Freude mit beiden Armen. Und wackelt und wedelt und lacht. Muss das komisch sein! Wie schnell hier alles runterplumpst. Und noch mal. Nehmen, schmeißen, Plumps. Nehmen, schmeißen, Plumps. Lachen.

Ein Beben. Rums. Plumps. Das Ohr ganz nah am Boden. Der Kopf auf die Erde gelegt. Doppeltes Rums. Was für ein Lärm, was für ein Beben. Das hör´ ich, das spür´ ich. Und sag nichts. Nichts irdisches. Nur Mondisch. Und das geht auch.

6 Gedanken zu “Mein Kind vom Mond

  1. Astrid 21. November 2015 / 10:32

    Guten Morgen! Ich finde die Bilder die du mit deinen Worten malst wunderschön. Es klingt wie Geschichten die ich gern weiterlesen würde. Danke dafür. Deine Kraft und der Blick für alle drei „Jungs“ ist bewundernswert. Ich wünsche dir noch einen wunderschönen Tag. Ganz liebe Grüße Astrid

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    • Taugewas 21. November 2015 / 22:12

      Liebe Astrid,

      vielen Dank für dieses schöne Kompliment! Das freut mich wirklich sehr :-)
      Herzliche Grüße an Dich!

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  2. Kerstin 22. November 2015 / 22:22

    Guten Abend! Wenn man das liest, denkt man: Logisch! Der kleine Mann ist nicht mit einer kranken Haut belastet…nein, er kommt einfach nicht von dieser Welt und da , wo er her kommt, würden sie über unser Aussehen verwundert den Kopf schütteln.
    Ich wünsche es ihm, dass er das irgendwann einmal genauso sieht und falls ein Drache aus der Phantasiewelt meines Sohnes einmal plant ein Ei hier zu lassen, wünsche ich ihm, dass er es vor deiner Tür ablegt. Denn dort wäre es genauso sicher, umsorgt, akzeptiert und geborgen wie deine zwei Magier.
    LG Kerstin

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    • Taugewas 23. November 2015 / 23:30

      Liebe Kerstin,

      wie wunderbar Du das geschrieben hast! Danke dafür.
      Ich glaube ja mittlerweile, dass das Dino-Ei bei Euch ganz bestimmt auch sehr gut aufgehoben wäre, nicht wahr ? :)
      Ich sende Euch herzliche Grüße :)

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  3. Natalie 23. November 2015 / 23:16

    Liebe Taugewas,
    Diesen Text fand ich so schön,dass ich fast weinen musste.
    Danke dafür.
    Und er bringt mich ins grübeln:
    Kommt mein Kleiner dann etwa vom Jupiter? Oder von einem anderen Gestirn mit erhöhter Schwerkraft? Das würde die Bärenkräfte dieses nur 8kg leichten Kindes erklären, das ewige Möbelschieben,Steine werfen, Sachen zerbeißen…
    Ich merke ja, dass er gar nicht alles klein kriegen will,es passiert einfach.
    Wenn er streicheln will bleiben Haare in der Faust und Spuren im Gesicht des Liebkosten.
    Beim Jupiter, zu Hause gehörte sich das so.
    Und wegen der erhöhten Schwerkraft läuft man da halt auf allen Vieren, ist ja logisch.
    Und die markerschütternden Schreie?
    Mensch Erdlingsmama, die sollen auf dem Jupiter doch hören,dass ich es bei dir gut habe,sonst machen sie sich noch Sorgen.
    Du hast recht,interstellar gedacht erklärt sich alles ganz wundersam.

    Natalie

    PS:
    Was hat denn der Anästhesist zu deiner Antwort gesagt?

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    • Taugewas 23. November 2015 / 23:26

      Liebe Natalie,

      Danke für Deinen Kommentar, ich freue mich immer, wenn ich durch meine Texte andere erreichen kann. :-)

      Mein Gesicht mitsamt der Haare haben auch Spuren vom Mondkind. Es ist nicht leicht, seine Kräfte zu kontrollieren bei solch anderen Umweltbedingungen. Das will erst gelernt werden.
      Was für eine tolle und logische Begründung für die Schreie! Das merk ich mir, wenn ich das nächste Mal hier Jemanden schreien höre ;)

      Der Anästhesist fand, ich hätte das schön erklärt. In der Uniklinik hatte man mit ihm bestimmt nicht den ersten Mondling auf dem OP-Tisch, jedenfalls klappte die Narkose gut.

      Liebe Grüße !

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