Loblied am Abend

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Noch immer liege ich mit eingeklemmtem Arm zwischen den Gitterstäben neben dem Kinderbett und streichle das Kleinkind in den Schlaf. Auf der anderen Seite im Zimmer liegt das Großkind im Bett. Ein Doppelstockbett, aber er liegt unten. Als wir es kauften, war das Kleinkind noch in meinem Bauch und wir stellten uns vor, es würde unten schlafen, wenn es nur alt genug ist. Und bis dahin müssten wir viele Argumente fürs Großkind finden, warum es cool ist, oben zu schlafen. Das alles ist unnötig, denn ohne Kontaktlinse und im Dunkeln und so wackelig wie das Kleinkind ist, wird es noch lange im Gitterbett schlafen. Also wohnt oben im Doppelstockbett das durchlöcherte Pappkistenhaus und keiner muss mutig genug sein, um dort oben zu schlafen. Ein Glück.

Ich singe ein bisschen zum Einschlafen, aber weil es langweilig ist, immer das selbe zu singen, singe ich einfach das, was ich ansonsten erzählen würde. Dass jetzt Ferien sind und dummdiduu wir all das machen werden, was wir uns vorgenommen haben dammdamm, summsumm….und dass wir auch den Onkel in England besuchen und damdidamdidam ins Schwimmbad gehen… wenn die Schule wieder anfängt, dann bist Du, liebes Kind, tatsächlich ummhhhhummmhhhhhhummmhhhh in der dritten Klasse dummmdiiidummm.. und das Kleindkind kommt dann in den Kiiiiinnnndergaaarteeeenn, ist es denn die Mööglichkeit?

Daraufhin antwortet mir aus der Zimmerecke eine zarte Kinderstimme in einem Singsang, dass das einfach toll sei, dass sein Bruder bald in den Kindergarten kommt! Und dass er da ja auch Motopädie haben wird und das so toll sei. Er könne sich gar nicht vorstellen, dass manche Leute sagen „Ach, das ist ja Kindergarten!“ und es abwertend meinen, denn Kindergarten ist einfach toll und überhaupt nicht eine Beleidigung!

Und plötzlich wird mein Singsang immer mehr Erzählen, eigentlich schläft das kränkelnde Kleinkind auch schon schnaufend, aber so ein bisschen noch liegen bleiben und in die Dunkelheit hineinsprechen ist schön. Dann erzähle ich mit Blick auf die dämmergraue Zimmerdecke, auf die kaputte halbe Kinderlampe, dass ich das auch so sehe mit dem Unverständnis gegenüber dem Kindergarten-Begriff als Synonym für „Pipifax“ und dass übrigens in der Gruppe vier Förderkinder seien und elf Regelkinder und dass es wie bei seinem alten Kindergarten ist nur dass die Kinder schon mit einem Jahr in die Einrichtung kommen können.

Da antwortet das Kind in das stille, dunkle Zimmer hinein, dass er findet, man solle nicht diese Begriffe verwenden. Regelkind und Förderkind. Denn wir sind alle unterschiedlich und wir brauchen eben alle unterschiedlich lange, um die Dinge zu lernen. Es wäre schlimm, wenn wir alle gleich wären, das wäre langweilig. Wir sind alle unterschiedlich. Und genau das ist doch das Paradies! Bei dem Wort Paradies hebt sich die zarte Kinderstimme wie wenn man auf einer Schaukel sitzt und mit dem höchstmöglichen Schwung die höchstmögliche Stelle erreicht, beinahe glaubt, doch übers Gestell drüberschaukeln zu können und sich für eine Millisekunde vom Sitz erhebt, nur um dann mit einem Plumps wieder runterzuschaukeln. So hopste die Kinderstimme.

Da sage ich, dass ich mir das Paradies wunderschön vorstelle, weil es ja von Gott geschenkt wurde, und Adam und Eva ja leider rausgehen mussten wegen der Apfelesserei, aber dass ich seine Worte wunderschön finde und ich es auch als Segen empfinde und dankbar dafür bin, dass wir alle so unterschiedlich sind.

In die Dunkelheit antwortet sie mir, die feste und überzeugte und begeisterte Stimme: Mama, es gibt Leute, die denken, sie kommen ins Paradies, wenn sie sterben. Und dass sie dort alles bekommen, was sie sich wünschen. Ich aber denke, dass das Leben hier auf der Erde doch schon das Paradies ist! Schau, hier gibt es doch alles, was wir brauchen und was schön ist. Es gibt Eis, gefrorenes Wasser! Und es schmilzt, wenn es warm wird! Es gibt diese physikalischen Phänomene! Und es gibt so viele verschiedene Dinge, das ist doch schön! Es gibt verschiedene Länder und wir können die Menschen von dort kennen lernen. Es gibt in jedem Ort unterschiedliches Essen und unterschiedliche Pflanzen. Das ist doch schon das Paradies!

Ich kann nur kurz antworten. Ein Mischmasch aus Beipflichten und weitere Ideen einbringen, denn diese Kinderstimme fährt fest und überzeugt fort: Diese Welt ist doch ein riesiges Geschenk! Ich glaube früher, da haben die Menschen Gott viel öfter und mehr dafür gedankt, dass er uns das alles geschenkt hat, wir sollten das viel öfter tun. Und wir sollten die Menschen einfach das machen lassen, was sie wollen, egal wie alt sie sind oder ob sie eine Behinderung haben oder aus einem anderen Land kommen. Ich möchte dafür kämpfen, dass jeder nach seinen Wünschen leben kann. Und wenn einer 75 oder 85 oder 95 Jahre alt ist und mit dem Joggen anfangen will, dann soll keiner sagen, dass das nicht geht – lasst ihn doch machen! Und wenn er nicht weit kommt, das ist doch auch okay, aber ich finde, wir sollten ihn lassen! Wir können uns doch einfach daran erfreuen, dass es hier so viele Sachen gibt, auch aus unterschiedlichen Ländern. Gott hat uns diese wunderschöne Welt geschenkt, dass wir alle unterschiedlich sind, dass wir das „einfach so“ bekommen haben, wir sollten ihm dafür viel öfter danken.

Um Gott zu danken, schlägt er vor, statt das Geld in Waffen, eher in Gold und wertvolle Dinge zu investieren, um dem Dank Ausdruck zu verleihen. Ich sage, dass wir das durch die bunten Kirchenfenster oder durch die Blumen auf dem Altar ja tatsächlich auch tun, doch dass Gott sich ganz bestimmt am meisten über ehrliche Dankbarkeit freut. Und ganz bestimmt über dieses Loblied seiner Schöpfung an diesem Abend in der Dunkelheit im Kinderzimmer.

5 Gedanken zu “Loblied am Abend

  1. Kerstin 10. Juli 2016 / 20:35

    Liebe Frau Taugewas! Drück deinen Grossen einfach mal unbekannterweise von mir und wenn er das nicht mag, sag ihm, dass ich ihm heute abend am liebsten den größten aller Kartons schicken würde, einfach um „danke“ zu sagen, dass es ihn gibt. Weil unser Paradies Botschafter wie ihn so dringend braucht und seine Worte so unwahrscheinlich gut tun. Gott hat deinem Sohn etwas sehr Besonderes mitgegeben, beten wir alle, dass er sich dies bewahren wird und vorallem weiter vorlebt.
    Viele Grüße von Pellworm, einer Insel , wo mein Sohn den Himmel sehr nah fühlt : so voller natürlichem Reichtum und so leer an Ablenkung, Lautstärke und Menschen. Manchmal gehören Inselmenschen vielleicht tatsächlich auf eine Insel, um die Batterien aufzuladen.

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    • Frau Taugewas 18. Juli 2016 / 0:26

      Liebe Kerstin,
      ich habe ihn unbekannterweise gedrückt :D
      Vielen Dank für Deinen lieben Kommentar! Das Wort (Paradies-)Botschafter finde ich so toll,
      ich habe es mir glatt notiert.
      Und wie schön….. Pellworm…Mein Großer wäre bestimmt neidisch, er träumt immer noch von Langeoog (letzten Sommer), doch dieses Jahr sitzen wir Eltern mit rauchenden Köpfen über dem Schreibtisch. Ganz uninselig, aber notwendig.
      Ich hoffe, die Tage auf der Insel haben die Akkus Deines Sohnes gut aufgeladen.
      Liebe Grüße :)

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      • Kerstin 27. Juli 2016 / 0:19

        Liebe Frau Taugewas! Unser Urlaub ist vorbei. ..leider. Und noch nie nach einem Urlaub könnte ich dieses „leider“ fett drucken und doppelt unterstreichen.
        Falls ihr vielleicht im nächsten Frühjahr oder Sommer Zeit für eine Auszeit habt, möchte ich euch Pellworm ganz nah ans Herz legen. Auch wenn wir uns nicht persönlich kennen, bin ich mir eigentlich sicher, dass auch ihr diese Insel lieben würdet. Und ich wage es mich einmal soweit aus dem Fenster zu lehnen, um zu behaupten, dass ich tief im Inneren glaube, dass dort Autisten sehr gut leben und auch arbeiten könnten. Ich weiß sehr genau, dass man nicht verallgemeinern sollte, aber ich kann mich nicht erinnern, wann mein Kind das letzte Mal so ausgeglichen , mittendrin und glücklich war. Ich könnte dir jetzt 1000 Dinge schreiben, die dich das verstehen lassen würden, aber eigentlich wünsche ich mir, dass du es siehst. Vermessen gegenüber einer doch ziemlich fremden Person? Vielleicht. Aber ich habe dort im Urlaub tatsächlich oft an euch gedacht.
        Alles Liebe, Kerstin

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      • Frau Taugewas 29. Juli 2016 / 1:40

        Liebe Kerstin,

        das klingt ja traumhaft!! Wirklich schön,
        dass ihr und auch Dein Sohn Euch so gut erholen konntet.
        ich werd ja ganz beschämt, dass Du als Leserin tatsächlich im Urlaub an uns Inselbewohner denkst! Wobei es nahe liegt, wenn man auf einer Insel ist an Inselbewohner zu denken ;)
        Ich habe mir Pellworm nun immerhin schon mal bei Wikipedia angeguckt.
        Bislang kennen wir nur Langeoog und die Ostsee (Rostock), vielleicht zieht es uns nächstes Jahr tatsächlich weiter in den Nordosten :)
        Vermessen finde ich das gar nicht, was Du denkst. Hat ja eher mit Erfahrung-Teilen zu tun.

        Liebe Grüße!

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  2. Natalie 24. Juli 2016 / 22:15

    Einfach wunderbar!

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