Drei Jahre Wegbegleiter. Ein bisschen Getragenwerden und ein Buchdankeschön.

„Welches Fest kommt als nächstes, Mama?“

„Mh. Erst mal nichts. Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten war grad erst. Als nächstes kommt im Spätsommer Erntedank. Und dann kommt St.Martin.“

„Achja, stimmt.“

Die Zeit fliegt davon. Bestimmt ist gefühlt übermorgen schon Erntedank. Irgendwo dazwischen ich. Zwischen Blockseminaren Freitag abends und samstags. Zwischen verrutschten Kontaktlinsen im oberen Bindehautsack abends (dieses Mal war es nicht so schlimm, denn Notdienst hatte glücklicherweise „unser“ Augenarzt und der kennt unsere Besonderheiten gut). Zwischen angeschwollenen Erdnussallergieaugen im IC, die Notfallmedikamente natürlich vergessen und noch zwei Stunden Fahrt bis zuhause. „Hast Du Panzertape mitgenommen?“ fragt mich der Mann. „Warum?“ – „Na, damit Du die Mülleimer zukleben kannst!“. Achja. Ich. Zwischen „Der Mülleimer bleibt zu!“ und „Nur in den Mund das Essen. Nur in den MUND!“ Vielleicht aber auch in die Haare, in das Shirt, in die Ritze zwischen Sitzkissen und Armlehne, in die Ohren oder als Pflegepolitur für den Holztisch. Ich zwischen Förderplangespräch und Ergotherapiewartezimmer. Und Logotherapiewartezimmer. Und Augenarztwartezimmer. Kinderarztwartezimmer.

Dazwischen ihr. Wegbegleiter. Die ihr mit mir im Abteil sitzt und mir ein bisschen Arabisch beibringt. Es gibt mehr als sechs Wörter für „Entschuldigung“. Aber Toilette heißt auch im Arabischen Toilette. Mit den Kindern übe ich die Wörter für Körperteile. Augen, Ohren, Nase, Mund. Der Vater bespaßt solange mein Kleinkind. Das lacht, umarmt, reißt Haare, wirft Kekse, lacht verschmitzt und umarmt dann wieder. Die Sprache des Herzens ist überall gleich. Zur Not helfen Hände, Füße und der google Übersetzer.

Dazwischen er. Der Wegbegleiter. Ein Schulkamerad, der plötzlich vor der Tür steht und sich mit dem Großkind zum Spielen treffen will. Dann gehen sie los, an den Rhein, ein bisschen Süßigkeiten essen. Einfach so. „Komm bitte um 18 Uhr zum Abendessen wieder!“ – „Ja mach ich!“ – „Du hast aber keine Uhr! Es ist 17 Uhr jetzt grad´.“ – „Ja ok, ich schätz´ das so ab, das geht.“ und weg sind sie. Um 17:50 Uhr steht das Kind pünktlich vor der Tür.

Dazwischen sie. Die Wegbegleiterin. Die sie mich zum Frühspätstück einläd und wir quatschen und essen und vor allen Dingen ist es so ruhig und langsam und keiner, der beim Frühstück schreit, dafür sogar Rapshonig von der Ostseeküste.

Dazwischen Du. Ewiger Wegbegleiter. Mit dem ich den Killesbergturm hochklettere und mir nur ein kleines bisschen mulmig ist. Die Aussicht ist schön, der Wind saust in den Ohren und für grad´ eben vergessen wir, was uns sonst so um die Ohren saust.

Dazwischen Post. Von einer Wegbegleiterin. Ein Paket mit einer Kleinkindtrage, die sie nicht mehr braucht. Und Tee, Bonbons, Murmeln, Flummis und nette Worte. Ein bisschen Hilfe auf diesem Weg. Ein bisschen Tragen. Und zwar ihn: Den Wegbegleiter, der nicht begleitet. Der bremst. Während ich hetze von Sommerfest zu Elternabend, über Anaphylaxieschulung und Uniseminar, weiter vorbei am Krankenbett und vergessenem Telefonat, während ich hetze zum Bus, zum Abgabetermin des Exzerpts und zum nächsten Therapietermin, währenddessen setzt er sich gemütlich in jeden Hauseingang, auf jedes Fensterbrett, er beguckt sich alles ganz genau. Denn er hat Zeit und er verlangsamt alles wunderbar.

Der langsamste aller Wegbegleiter

 

Was feiern wir also als nächstes? Erntedank? Dazwischen ist doch noch etwas zu feiern! Dieser Blog wird drei Jahre alt. Vor drei Jahren schrieb ich den ersten Eintrag. Zwar dauerte es etwa ein halbes Jahr, bevor der Blog online für jeden lesbar wurde, doch drei Jahre ist er trotzdem alt. Danke an alle Wegbegleiter, die ihr kurz stehen geblieben seid und den einen oder anderen Text gelesen habt. Laut der WordPress-Statistik waren es im letzten Jahr 10.917 Besucher. Manchmal bekomme ich Mails von Leserinnen, die einfach nur „Danke“ sagen möchten. Ihr seid auch Wegbegleiter. Und wenn ich mit diesem Blog auch ein bisschen Wegbegleiterin sein kann, dann ist der Weg umso schöner.

Anlässlich dieses kleinen Geburtstages möchte ich ein Buch verlosen, das ich selber ganz großartig finde, wobei ich es noch nicht ein mal komplett durchgelesen habe. Es ist das Buch „Geniale Störung“ von Steve Silberman. Ich habe mir das Buch selber ausgeliehen, doch ein Exemplar neu gekauft, um es hier auf dem Blog zu verlosen. Falls ihr also ein Wegbegleiter seid und dieses Buch Euch interessiert (es ist wirklich großartig recherchiert und zeigt die „Geschichte des Autismus“ auf mit allen Besonderheiten und aus einer tollen Perspektive), dann schreibt mir einen Kommentar unter diesem Artikel. In einer Woche, am Dienstag den 18.07. werde ich Die- oder Denjenigen bekannt geben, die oder der das Buch gewonnen hat. Bis zum 17.07. habt ihr Zeit, zu kommentieren. Selbstverständlich werde ich nicht bezahlt von Irgendwem ;)

Auf die nächsten drei Jahre!

9 Gedanken zu “Drei Jahre Wegbegleiter. Ein bisschen Getragenwerden und ein Buchdankeschön.

  1. Tamara 12. Juli 2017 / 8:38

    Wie immer sehr berührend und beeindruckend! Vielen Dank für diese besondere Sicht auf die Dinge und für die Möglichkeit so „mitzuleben“ :-)

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  2. Sara 12. Juli 2017 / 19:46

    Ein Mal hatte ich schon kommentiert. Und ich schaue immer wieder und sehr gerne hier vorbei! Sie schreiben ganz wunderbar. Dafür ein dickes Danke!

    Herzliche Grüße an Alle da bei Ihnen!

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  3. miniparadies 12. Juli 2017 / 20:52

    Cooles Buch, hätte ich gerne :-)
    Herzlichen Glückwunsch zum Blogjubiläum!

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  4. Ulrike 12. Juli 2017 / 20:54

    Ich finde deinen Blog toll! Und ich hätte das Buch so gerne, für mich selbst, für meinen kleinen geliebten Rübenzähler-Sohn und mein Patenkind, den Windfang. Weil beide so besonders denken und so wertvoll sind wie sie sind…
    Liebe Grüße!

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  5. Tany 13. Juli 2017 / 18:57

    Herzlichen Glückwunsch!
    Ich bin ein leiser Wegbegleitung.

    Glg tanja

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  6. autcry 14. Juli 2017 / 19:38

    Ich lese deinen Blog sehr gerne! Deine Texte berühren mich immer wieder, und ich freue mich schon auf viele weitere!

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  7. Natalie 16. Juli 2017 / 21:32

    Panzertape für den Mülleimer im Zug? Wie cool ist das denn! Wird sofort für die nächte Reise notiert.
    Ganz herzlicher Grüße zum Blogjubiläum! Und ich… wälze bald genauso lang die Frage ..traue ich mich auch zu bloggen? ..oder lieber doch nicht .. und wenn das nun keiner liest ;)
    Ich bin ziemlich viele von den 10917, weil ich manche Beiträge sogar mehrmals lese, du bist meine Lieblingsbloggerin (schleeeeeiiiim, stimmt aber nun mal)
    Ich freue mich auch auf die nächten drei Jahre
    Natalie

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    • Frau Taugewas 1. August 2017 / 1:35

      Leider habe ich dann aus Angst vor Rückständen doch kein Panzertape mitgenommen..
      Bitte blogge, ich lese Dich so gern, vor allen Dingen seit Deinem Buch :) Und ich glaube, Du hast echt tolles aufzuschreiben :)
      Danke für Deine Worte!!!

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