Die Fabel vom Tomatenbauer

 

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Einst lebte in einem Dorf ein Bauer. Er war nicht alleine, es gab einige Bauern und sie bauten allesamt Kartoffeln an, damit sie und ihre Familien satt wurden. Ihre Äcker waren dicht bepflanzt, es war genug da für die Bauern und sogar für die Menschen in der Stadt. Nur ein Bauer, der hatte auf seinem Acker nichts ausgesät. Er besaß eine kleine Tomatenpflanze, die er jedoch bei sich im Haus aufzog. Er hatte gelernt, dass diese Pflanze nicht wie Kartoffeln frei und ungeschützt auf dem Acker wachsen kann, weil sie sonst einging. Sie war zu empfindlich für starken Wind, zu zart für Regenschauer. Also hatte er sie im Sommer in seinem Vorgarten unter einem kleinen Dach und im Winter in seinem Haus. Morgens stellte er sie an das Küchenfenster, weil dort die Sonne beim Aufgang hineinschien. Abends stellte er sie an das Schlafzimmerfenster, damit die Pflanze noch ein paar der letzten Sonnenstrahlen abbekam, bevor die Sonne unterging. Wenn die anderen Bauern über das Wochenende mit ihrer Familie wegfuhren und ihre Kartoffeläcker ruhen ließen, so nahm er seine Pflanze mit. Er konnte sie nicht alleine lassen, er wollte sie vor Fraß schützen, musste sie gießen und ihre dünnen Ästchen an eine Stange binden. Er zimmerte ihr ein kleines Holzhäusschen mit Glasfenstern, damit ihre zarten, noch grünen Früchte nicht von seiner immerhungrigen Katze zerkaut wurden. Seinen Acker hatte der Bauer brach liegen, weil er zu jeder Zeit mit seiner Tomatenpflanze beschäftigt war.

Einmal fragte ihn sein Nachbar, ein Kartoffelbauer: „Warum machst Du dir so viel Aufwand mit deiner Tomatenpflanze? Schau doch, wie einfach Du es hättest, wenn Du Kartoffeln anbauen würdest! Deine Ernte würde reichlich ausfallen, so wie meine. Du würdest satt werden und könntest noch ein paar Säcke auf dem Markt verkaufen. Du hättest einen großen Verdienst.“ Da antwortete der Bauer mit der Tomatenpflanze: „Ich habe diese eine Frucht geschenkt bekommen und sie schmeckte mir so gut. Da spuckte ich ihre Kerne aus und säte sie aus. Ich wusste nicht, wie viel Mühe diese Pflanze macht, aber ich wusste, wie schön saftig und süßlich sie schmeckt, wie prall und rot ihre Früchte sind.“

Als im nächsten Spätsommer wieder die Ernten eingefahren wurden, da hatte der Tomatenbauer diese saftigen roten Tomaten, die ihm so gut schmeckten. Er hatte reichlich davon, denn seine Pflanze trug viele Früchte. Aber satt wurden er und seine Familie nicht.

Da ging er zu seinem Nachbar und schenkte ihm einen Korb Tomaten. Dieser probierte davon und es schmeckte ihm gut. Er sagte: „Lieber Nachbar, ich habe noch nie davon gegessen, diese Früchte sind völlig neu für mich. Aber sie schmecken mir unglaublich gut. Nun kann ich verstehen, warum Du die Samen eingepflanzt hast. Nun kann ich verstehen, weshalb Dein Acker brach liegt und warum Du diese Pflanze morgens und abends umsorgst. Ich stelle mir einen Kartoffelauflauf vor und oben drauf lege ich in Scheiben geschnittene Tomaten. Oder frittierte Kartoffeln und dazu eine süß-saure Soße aus Deinen Tomaten.“ Als Dank und weil er wusste, dass er von Tomaten alleine nicht satt wurde, füllte er den Korb mit Kartoffeln, bevor er ihn dem Tomatenbauern zurückgab.

Schon im Jahr darauf gab es einen ganzes Buch voller Rezepte mit Kartoffeln und Tomaten, die die Frau des Kartoffelbauers sich ausgedacht hatte. Den Menschen im Dorf schmeckten beide Früchte so gut und sie konnte sich die saftigen Tomaten nicht mehr wegdenken. Gleichzeitig wussten sie aber, dass sie Kartoffeln brauchten, um satt zu werden.

Auf dem Markt verkaufen auch heute noch viele Kartoffelbauern ihre Kartoffeln. Nur wenige Bauern pflanzen Tomaten an. Ihre Äcker, die sie wegen der Pflege ihrer Tomaten nicht bewirtschaften können, werden von den Kartoffelbauern mitgenutzt und ihre Ernte geteilt. Es ist gut, dass es genug Kartoffelbauer gibt, denn ohne sie würde das Dorf nicht satt. Es ist gut, dass ein paar Bauern die zarten Tomatenpflanzen anbauen, denn ohne Tomaten wären die Gerichte langweilig und eintönig. Und es gäbe keinen Ketchup zu den Pommes.

Ein Gedanke zu “Die Fabel vom Tomatenbauer

  1. Katrin 10. März 2016 / 5:04

    Was für eine tolle Erzählung!

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