Seit einigen Wochen liegt dieses Buch schon auf meinem Nachttisch und wartet darauf, von mir rezensiert zu werden. Es ist ein Buch für Frauen in einer Partnerschaft mit einem „Asperger-Mann“. Geschrieben hat es Eva Daniels, die sowohl privat als auch beruflich Asperger-Persönlichkeiten begegnet. Für die Recherche ihres Buches hat sie einige Frauen interviewt, die eine Beziehung mit einem autistischen Mann führen oder führten.
Das Buch ist 2015 erschienen und bislang gibt es kein vergleichbares Buch auf dem deutschen Markt. Auf Englisch gibt es den Ratgber „Alone Together – Making an Asperger Marriage Work“ von Katrin Bentley und auf Deutsch eine Reihe an Büchern, die sich jeweils mit den „Einzelschicksalen“ von Beziehungen mit einem autistischen Menschen oder aus Sicht eines autistischen Menschen befassen („Ich liebe einen Asperger!“ von Corinna und Bob Fischer sei an dieser Stelle beispielhaft genannt. Ein Buch, das mich wirklich berührt hat. Oder auch „Ein Kaktus zum Valentinstag“ von Peter Schmidt).
Mit dem mir vorliegenden Buch „geliebter Fremder“ ist es der Autorin gelungen, sowohl einzelne Beispiele von Beziehungen zwischen autistischen Männern und „neurotypischen“ Frauen aufzuführen, gleichzeitig die gesamte Thematik jedoch zu abstrahieren und Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede, Konfliktpotenzial und Lösungsvorschläge aufzuzeigen. Sie selber arbeitet als Coach und Trainerin und erreicht die Leserin auf einem Niveau, das es einem auch als Person ohne psychologische Grundausbildung ermöglicht, allen Gedankengängen zu folgen. Im Großen und Ganzen also ein gelungenes Buch, eine gute Mischung aus Ratgeber und einzelnen biografischen Einschüben.
Die Grundaussage des Buches lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Erkenne die Denkstruktur und Emotionen hinter den Handlungen Deines Partners und lerne dich selber und deine Bedürfnisse kennen, dann kannst Du eine gesunde und erfüllende Partnerschaft führen. So neu ist diese Aussage nicht und – abgesehen von den autistischen Grundzügen des Partners, die immer wieder angesprochen werden – in etlichen anderen Persönlichkeits- und Beziehungsratgebern zu lesen. Dennoch hat es mich bis zum Schluss gereizt, dieses Buch zu lesen, da ich mich und manchmal auch meinen Partner in einigen Situationen und Beispielen wiedergefunden habe und ich trotz des riesigen Berges an Autismus-Literatur, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, nicht genug bekommen kann von diesem Thema. Die Autorin möchte mit ihrem Buch „zu mehr Verständnis zwischen Asperger-Persönlichkeiten und „normalen“ Menschen beitragen“ und schafft dies meiner Meinung nach. Ich kann mir vorstellen, dass insbesondere Frauen, die ganz „frisch“ mit dem Thema Autismus konfrontiert werden, von diesem Buch profitieren und es ihnen eine Hilfe sein kann.
Einige Aspekte missfallen mir trotzdem. Die gesamte Aufmachung des Buches, vom Titel bis zu den Bildern, entsprechen nicht meinem Geschmack und sind meiner Ansicht nach negativ konnotiert. Als „Fremden“ einer „anderen Welt“ empfinde ich meinen Partner nicht. Er hat jedoch auch keine Asperger, sondern eine High Funktion Autismus-Diagnose (HFA), womit ich zum nächsten Punkt komme: dieses Buch reduziert die Männer mit Autismus-Spektrums-Störung (ASS) im Titel auf das Asperger-Syndrom, obwohl es gleichermaßen auch Partnerinnen von Männern mit ASS bzw. HFA anspricht, da die Erscheinungsformen ineinander übergehen. Im Buch selber wird jedoch auch die ASS erwähnt, daher ist der Titel irreführend. An einigen Stellen empfinde ich den Ton als unangemessen und den „Asperger-Männern“ gegenüber diskriminierend. „Der intelligente Mann wird vorübergehend zu einem weiteren Kind (…)“ oder auch „stur wie ein Teenager“. Diese Beschreibungen entsprechen eventuell dem Empfinden einzelner Frauen, sind jedoch nicht im Zitat eingefügt und daher der Autorin zuzuschreiben, die an sich einen respektvollen Ton anschlägt.
Im Großen und Ganzen ist die Beschreibung der Autismus-Thematik jedoch positiv. Die Leserin liest zwischen den Zeilen die Faszination der Autorin für autistische Persönlichkeiten und erkennt sich oder ihren Partner im besten Falle in ihren Worten wieder. Auch kann ich mir vorstellen, dass ein solches Buch Müttern von autistischen Kindern (Jungen) Mut macht. Aus meiner eigenen Erfahrung und aus Gesprächen mit anderen Müttern weiß ich, dass die Perspektive auf ein eigenständiges Leben mit einer Partnerschaft eine der größten Sorgen einer Mutter eines autistischen Kindes ist. Die Frage, ob das Kind irgendwann in der Lage sein wird, eine empathische und gesunde Beziehung zu führen, ein eigenständiges Leben zu haben, eventuell mit Kindern, diese Frage bewegt Mütter ab dem Zeitpunkt der Diagnose – auch wenn noch Jahrzehnte bis zum Erwachsenenalter dazwischen liegen.
Bücher wie dieses, die die Realität aufzeigen und die Beziehungsfähigkeit von Menschen mit Autismus eindeutig bejahen, die ihre Mitmenschen ermutigt, eine solche Beziehung zu führen und daran zu arbeiten, solche Bücher brauch es dringend (am besten noch mehr, wer weiß, was in den kommenden Jahren noch alles veröffentlicht wird).