Die genialen Pläne eines Liebenden

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Wegen 13 kranker Lehrer hat das Großkind zwei Tage schulfrei. Es lohnt sich auf jeden Fall, schulfrei zu haben, da wir die alte Spülmaschine ausbauen und eine neue einbauen. Außerdem kommt ein Handwerker und repariert im Badezimmer Armatur und Sifon. Auch am darauf folgenden Schultag ist kein Unterricht, sondern Förderplangespräch. Ein vorbildliches Förderkind ist er. Wen kümmert da die Sprache und Organisation.. Irgendwie klappt das schon. Die psychische Gesundheit ist allemal wichtiger. Und jetzt erst mal ganz viel Zeit, um im Café Kakao zu trinken und um „Die drei Fragezeichen“ vorzulesen. Als der Kakao ausgetrunken und das Buch durchgelesen ist, da halte ich meinen Mund und höre, was das Großkind sagt.

Nämlich, dass, wenn er groß ist, er seinem Bruder zusammen wohnen möchte. Der kleine Schnuff wird dann groß sein, aber vielleicht, sogar sehr vielleicht und wahrscheinlich ganz bestimmt, bei einigen Dingen Unterstützung benötigen. Er soll nicht alleine wohnen und auch ganz bestimmt nicht in eine Behindertenwohnheim. Das ist nämlich keine schöne Idee, alle Leute mit Behinderung zusammen wohnen zu lassen. Das ist das Gegenteil von Inklusion. Nein, wenn er groß ist, dann wird er immer mit ihm zusammen wohnen. Er wird vielleicht nicht lesen können, was auf der Milchpackung steht, dann wird er es ihm vorlesen, zum Beispiel das Mindesthaltbarkeitsdatum. Wenn das Großkind groß ist, wird er genug Geld verdienen. Nachdem er studiert hat, wird er eine Firma gründen, die Drohnen für gute Zwecke einsetzt. Helfer-Drohnen. Das werden Drohnen sein, die im Krankenhaus Geräte überwachen, Betten beziehen oder Medikamente bringen. Falls einer eine stark ansteckende Krankheit hat, dann wird es sicherer sein, Drohnen zur Versorgung einzusetzen. Diese können auch nicht krank werden. Aber (das Kind macht eine kleine Kunstpause), aber, eines, das können die Drohnen nicht: Sie können nicht trösten und mit den Menschen sprechen. Deswegen wird es auch immer Menschen geben, die anderen Menschen, Kranken, helfen.

Jedenfalls entwirft, programmiert und baut er diese Drohnen, vielleicht lässt er sie auch bauen, da er Geschäftsführer ist. Alle Drohnen bleiben in seinem Besitz, er entleiht sie aber für ihre Aufgaben. Natürlich nur für den guten Zweck. Sie könnten Lawinenopfer aufspüren und ihnen helfen. Das ist seine Geschäftsidee: Das Leihen der Drohnen kostet Geld.

Wenn er Geburtstag hat, dann schenken die Drohnen ihm etwas. Jede einzelne Drohne. Sie werden fast wie echte Lebewesen sein, aber nur fast. Und wenn er stirbt, dann sterben auch die Drohnen mit ihm.

Jedenfalls wird er damit genug Geld verdienen, um sich eine Wohnung mit fünf Zimmern zu leisten oder sogar ein Haus auf dem Land. Mit Hühnern. Sein Bruder wird immer mit ihm zusammen leben dürfen und wenn er kann, dann soll er die Hühner mitversorgen. Vielleicht wird der kleine Schnuff, der dann ganz groß sein wird, auch eine einfache Arbeit haben und tagsüber unterwegs sein. Abends werden sie aber gemeinsam essen. Er wird seinem Bruder bei schwierigen Dingen helfen, zum Beispiel bei der Steuererklärung. Vor allem aber braucht der Schnuff Liebe. Ganz viel. Und deswegen ist es auch nicht schön, wenn er später mal alleine ist, nein. Deswegen möchte er mit ihm zusammen sein, denn er ist ja sein Bruder.

Das erzählt mir das liebe Kind, während wir die Straße runter marschieren zur Kita. Als wir das Tor öffnen, läuft ihm schon der Schnuff entgegen. Mit ausgebreiteten Armen. Auf dem Rückweg im Bus wird er wieder Haare ziehen, beißen, kneifen, wild mit den Armen wedeln und sich und seinem großen Bruder immer und immer wieder die Brille von der Nase reißen. Er wird voller Liebe gedrückt und auch genervt zurück geschubst werden und er wird Unverständliches sagen wie: „Äähhhbäää“ und „Mmmhhhmmmhh“. Er wird sich selber auf den Kopf hauen, Dreck vom Boden lecken wollen und keine Sekunde still sitzen. Ich werde dem Wortwasserfall des lieben Kindes nicht aufmerksam horchen können, da ich verhindern muss, dass das Schnuffkind Mitfahrenden die Mützen vom Kopf reißt. „Nein, ich kann jetzt nicht zuhören und gebissen werden möchte ich auch nicht, jetzt sitz doch mal einen Moment still und Du lachst bitte nicht auch noch über diesen Unfug, den er macht!“

Aber all meine Genervtheit stört zum Glück nicht. Trotzdem kann so viel Bruderliebe wachsen zu so einem kleinem chaotischen Hampelmenschen. Trotzdem werden Träume geträumt und Pläne geschmiedet. Wen kümmert da Sprache und Organisation? Wir wissen ja, dass alles gut wird. So, wie wir es uns vorstellen.

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