Vor einigen Jahren las ich einen Artikel, der sich mit dem Zusammenhang zwischen Elternschaft und Glücklichsein befasste (klick). Die Bilanz dieses Artikels ist, dass Eltern zu Beginn ihrer Elternschaft und mit jedem Kind unglücklicher werden, was sich später jedoch relativiert („Schon 30- bis 39-jährige Eltern mit bis zu drei Kindern sind dabei genau so glücklich wie Kinderlose“ – dann fehlen mir ja nur noch knappe fünf Jahre und ich kann mit dem Glückspegel meiner kinderlosen Mitmenschen mithalten, na ein Glück!) und im Alter sogar umdreht – dann sind Eltern den Studienergebnissen nach sogar glücklicher als kinderlose Menschen.
Abgesehen davon, dass ich der Meinung bin, „Glück“ oder das Gefühl des „glücklich-Seins“ nicht messen zu können (ist das nicht sowieso eher ein kurzweiliger Zustand als ein lange andauerndes Gefühl?), bin ich als junge Mutter so ziemlich mittendrin in der Unglückssuppe und ganz bestimmt nicht objektiv. Ja, Kinder sind anstrengend. Das Leben mit Kindern ist oft ziemlich kräfteraubend – gemessen am Leben ohne Kinder. Während das eine Kind nachts aufgeregt seine Albträume erzählt, liegt das andere weinend beim Papa im Ehebett. Um halb sechs Uhr endet die Nacht – und zwar damit, dass das kleine Kind den Stapel Zeitschriften, Handys und das Babyphone vom Nachtisch wirft. Das Frühstück (Bananenquark) wird großzügig in den Haaren verteilt, während ich versuche, den Spülarm der Spülmaschine zu befestigen. Kommentiert wird die Aktion mit unpassenden Sprüchen vom Großkind. Jeden Tag werde ich gekratzt, gebissen, an den Haaren gezogen. Jeden Tag sage ich ein bestimmtes „Nein!“ und jeden Tag werde ich dafür mit großen, blauen Augen verständnislos angeguckt.
Mir wird der Tee aus der Hand geschleudert, vor 20 Uhr abends ist an eine ruhige Minute mit Kaffee und Zeitschrift nicht zu denken. Eine Busfahrt (und ich habe an Werktagen mindestens 2, meistens 4 pro Tag mit dem Kleinkind) ist das totale Gegenteil von Entspanung. Damit die Haltestange nicht angelutscht wird, drücke ich dem Kind irgendetwas zu essen in die Hand. Egal ob Obst, Brot, Fruchtriegel oder Keks, alles wird – nachdem es gut eingespeichelt wurde – mit der Hand aus dem Mund gezogen und auf dem Kopf oder dem Sitz im Bus verteilt. Mitfahrende werden freudig angetatscht (mit Brötchenklebepatschehänden!) oder auch angeschrien (es ist ja auch doof, wenn man noch nicht sprechen kann…). Bilderbücher zur Ablenkung werden munter durch den Bus geschleudert.
Ohne Kinder kann man das Essen würzen und zubereiten wie man lustig ist. Mit Kindern bleibt von den Gewürzen nur das Salz übrig und von „Zubereitung“ kann nicht mehr die Rede sein, wenn die Lieblingsspeisen Nudeln mit Fertigpesto oder Pommes sind. Mit Kindern kann ich kein Gespräch mit meinem Mann führen, ohne dass es entweder vom Großkind kommentiert wird oder das Kleinkind es mit ohrenbetäubendem Quäken unterbricht. Am Ende des Tages hast du Nackenschmerzen vom vielen Rumtragen des Kleinkindes, deine Kleidung ist voller undefinierbaren Flecken, du kennst jede Fliese unterm Esstisch persönlich, denn mindestens drei Mal am Tag kriechst du dort unten rum und fegst und wischst Berge von Essensresten zusammen, die die Kinder runterschmeißen (kaum zu glauben, dass noch genug in den Kindern landet).
Zeit, um in Ruhe zu baden, telefonieren, lesen oder essen haben Eltern selten ausreichend, dafür aber einen großen Haufen an „noch-zu-erledigenden-Kram“. Das schlechte Gewissen ist ein treuer Begleiter, genauso wie die Feuchttücher und Kastanien in der Tasche einer Mutter. Oder der Dreck unter den Fingernägeln der Kinder. Immer da.
Zusätzlich zu all dem begießt sich das eine Kind mit heißem Tee und schreit wie am Spieß, das andere bekommt am ganzen Körper Ausschlag von der Sonnencreme. Der Wasserrohrbruch im Badezimmer und die zum Vorschein kommenden Bleileitungen machen den Wahnsinn komplett. Okay, ich gebe zu, Wasserrohrbrüche können auch kinderlose Menschen haben und das ist dann genauso unschön, doch können Erwachsene auch in einer provisorisch eingebauten Wanne duschen ohne Überschwemmung – mit Kindern ist jedes Baden eine kleine Überschwemmung. Das ganze wird mit aufgerissener Wand nicht besser.
Abends sitze ich dann am Gitterbett, das Kleinkind beruhigend, singend, streichelnd. Wenn es dann endlich schläft, ist meine einzige Aufgabe, möglichst leise meinen Arm zwischen den Gitterstäben rauszuquetschen und aus dem Zimmer zu schleichen. Zu allem Überfluss habe ich mir noch ein Studium aufgehalst, ganz freiwillig, als Ausgleich zum normalen Wahnsinn.
Jetzt also erinnere ich mich an den Artikel und frage mich, wie viel Wahrheit in dieser Studie steckt. Ja, es ist wahr, Kinder machen das Leben anstrengend und es ist unheimlich nervenaufreibend, ständig die Bedürfnisse von anderen – und nicht die eigenen – zu berücksichtigen. Manchmal sind Kinder undankbar (wenn trotz langem Fernsehen noch gemotzt wird, „dass ich schon aufhör´n muss….“) oder rücksichtlos (Mama ist müde? Sowas von egal! Das Baby bleibt bis halb zehn Uhr wach).
Aber all diese Worte, diese Zeilen, könnte ich nicht schreiben, ohne meine Kinder. Ohne die Witzigkeit und den Einfallsreichtum, ohne den schrecklich anstrengenden Alltag mit meinen Kindern hätte ich hier nichts zu schreiben und die Seite bliebe leer. Bis auf den Wasserrohrbruch, den hätte ich auch ohne Kinder. Und den kaputten Arm der Spülmaschine. Elternsein macht müde, erschöpft und Zornesfalten zwischen den Augenbrauen. Als Eltern hat man täglich mit Ausscheidungen zu tun, mit Trotz-und-Wut-Tränen, mit Sand auf dem Sofa und verschmähtes Gemüse auf dem Teller, täglich mit Diskussionen und Debatten. Zumindest ist das bei mir so.
Macht das unglücklich? Oder müde?
Mein Sohn hat mir heute Morgen den Schlaf aus den Augen gerieben. „Du hast da so Sandkörner im Auge, Mama!“ – „Das ist der Sand vom Sandmann.“ – „Den gibt´s gar nicht, Mama! Wenn der nachts bei mir steht und mit Sand wirft, dann schieß ich den ab. Mit einer Elektonen-Raster-Miroskop-Pistole!„
Wer das Leben ohne Kinder viele Jahre genossen hat, die Selbstständigkeit, die Freiheit, der kann das natürlich vermissen und ist aktuell unglücklich, dass vieles nicht mehr möglich ist mit kleinen Kindern. Vielleicht ist es gut, dass ich so früh Mutter geworden bin. Ich blicke nicht auf viele Jahre der Kinderlosigkeit zurück. Ich bin müde, aber nicht unglücklich.