Tatsächlich kommt mir wirklich wenig in den Sinn, zu fragen, wo Gott denn sei, wie das denn zu rechtfertigen sei. Im Angesicht der Behinderung danach zu fragen schien mir stets weniger wichtig. Erst mal fragen, wie es denn zu Krieg und Gewalt und frühem Tod kommen kann. Dennoch ist es hin und wieder Thema. Beim Thema Behinderung beim Kind tauchen irgendwann die Frage nach dem Wieso-Ich und dem Wo-ist-Gott auf. Wenn nicht von selbst, dann von außen. Weiterlesen
Glaube
Alltag
Seit ich Mareices Interview gelesen hatte, in dem sie unter anderem darüber schreibt, wie sie als Mutter eines behinderten Kindes einen Weg findet, sich auf dessen Stärken zu konzentrieren und diese und das gemeinsame Familienleben zu fördern, schwirrten mir ein paar Worte im Kopf herum dazu. Wahrscheinlich wollte ich irgendetwas schreiben zwischen „Förderung nutzt ja auch“ und „Danke, dass Du mich daran erinnert hast, wie wichtig das Gemeinsame doch ist im Förder-Therapie-Stress“. Dazu hatte ich irgendwann mal auf ihrem Blog gelesen, dass Alltag für sie ein Ausnahmezustand und beinahe etwas exklusives sei, da immer irgendetwas sei, dass am Alltaghaben hindert. Damit erinnerte sie mich abermals an die Wunderbarkeit des Alltags. Jetzt habe ich diesen Text zum Thema Alltag verfasst und plötzlich fallen mir Mareices Worte ein, die angesichts des Todes ihrer Tochter eine völlig neue, viel gewichtigere Bedeutung bekommen. Für jeden Tag, der Alltag ist, möchte ich danken. Weiterlesen
Jahr der Dankbarkeit
Ein neues Jahr hat begonnen. Jetzt will ich schreiben, was ich alles machen will und was mir im Kopf rumschwirrt. Nun nur nicht den roten Faden verlieren.
Das Kind dreht sich um sich selbst. Dreht sich und dreht sich wie ein Kreisel. „Was machst Du da?“ frage ich. „Ich wickel den grünen Faden auf, Mama!“ Achso. Weiterlesen
Vom auf-machen und zu-lassen
Am Hauptbahnhof. Betrunkene Menschen. Im Rausch. Auf dem Boden. Liegend, schwankend. Armut. Sucht. Wie kann ich daran vorbeigehen? Wie kann ich gehen, wenn da einer liegt? Mein Sohn starrt. Starrt ihn an. Angstvoll. Neugierig. Ungläubig.
„Mama, die Besoffenen da, am Hauptbahnhof. Warum trinken die Alkohol? Woher kommt überhaupt der Alkohol? Die sind verrückt, die Besoffenen. Und die tanzende Frau, weißt Du noch, Mama? Oder der schimpfende Mann in der Bahn. Der Besoffene. Weißt Du das noch, Mama?“
Warum lässt Gott das zu? Wie kann Gott das zulassen?
Gott ist kein Zulasser, kein Zulassender. Er ist nicht passiv. Er lässt nicht zu. Er ist nicht einer, der alle Fäden in der Hand hat, alles zum Guten wenden kann und es trotzdem lässt. Zulässt. Das Leid zulässt. Uns Menschen lässt. Er lässt uns nicht. Lässt uns nicht zu. Er öffnet uns. Er macht uns auf. Aufmachen statt zulassen. Aktiv werden statt passiv verharren. Statt sich verschließen.
Gott macht uns auf, er öffnet uns. Auch für das Leid. Er lässt uns nicht. Lässt uns nicht damit allein. Er öffnet. Öffnet uns und unsere Augen. Damit wir handeln, wenn wir Leid sehen. Damit wir uns öffnen. Handeln und helfen.
Ich will nicht vorbeigehen und lassen. Das zulassen. Mich zu-lassen. Ich will mich auf-machen. Aufmachen auf den Weg. Den Weg, der nicht vorbeigeht an dem, der da liegt. Der da schwankt. Und schimpft. Und tanzt. Im Rausch.
Ich will mich aufmachen und hingehen. Denn das ist ein Mensch. Vielleicht auch angstvoll, neugierig. Ungläubig. Und ich bin auch Mensch. Vielleicht auch verrückt, schimpfend. Tanzend.
Armut. Sucht. Auf dem Boden im Hauptbahnhof. Kann ich vorbei gehen, wenn da einer liegt? Oder starren, wie ein Kind? Kann ich mich zu lassen? Gott lässt nicht zu. Lässt mich nicht zu. Er öffnet. Ich mache mich auf.
Was wir bestellen und was wir bekommen
Gott hat Nudeln vom Himmel geschmissen. Behauptet zumindest mein Sohn, als ich vor dem Essen ein Tischgebet spreche. Eigentlich ist ihm klar, dass Gott es nicht wirklich Nudeln regnen lässt. Das wäre schön, wenn er direkt runterschmeißt, was man grad braucht. Doch auch mit dem, was er uns gibt, können wir großartige Dinge machen. Sonne, Licht, Wasser, Erde. Dann wächst der Weizen und daraus machen wir Nudeln. Mit dem vorhandenen Mitteln arbeiten. Wir bekommen nicht immer genau das, was wir gerne bestellen würden. Einmal Schablonen-Familie im Schablonen-Reihenhaus, bitte. Mutter, Vater, Sohn, Tochter, Hund und Haus und Garten. Am besten auch vom Himmel geschmissen. Nein, so ist das nicht. Wir sind Menschen, von Gott erdacht, von der Natur gemacht. Mit Unvorhersehbarkeiten und jeder ist einmalig. Einmal Familie, bitte, habe ich bestellt als wir unser erstes Kind erwarteten. Jetzt haben wir zwei. Kein Haus mit Garten, zwei Söhne. Keinen Hund, dafür zwei Katzen.
„So hab ich das nicht bestellt“ denke ich während ich das schreiende Baby festhalte, dem Kontaktlinsen eingesetzt werden. Während ich im Krankenhaus nachts durch lautes Piepen der Maschinen geweckt werde. Während ich mein tobendes, schlagendes, schimpfendes Kind beruhige. So habe ich das nicht bestellt. Mein großer Sohn bestellt Schokoladeneis beim Eismann im Park. Schokolade ist aus, sagt dieser. Er nimmt stattdessen Keks-Eis und ist erstaunlich gelassen dabei. Kein Gemotze. Kein Geschrei. Er genießt und isst langsam. Er bekam nicht das, was er wollte und doch ist es gut. Solange das Eis noch schön kühl ist, schleckt er genüsslich. Ja, so will ich es auch tun. Ich möchte das, was ich bekomme, ohne Motzen annehmen. Das, was ich habe, genießen. So lange genießen, wie es nur geht. Und nicht daran denken, wie schnell Eis doch in der Sonne schmilzt. Und wenn das, was ich bekomme, auch schnell zu schmelzen scheint. Wenn es Pläne und Träume durchkreuzt und in keine Lebens-Schablone passt. Auch dann möchte ich ja sagen dazu. Ja sagen zu Keks-Eis statt Schokolade. Ja zu einem Leben mit einer Beeinträchtigung. Einer Krankheit. Einer Behinderung. Ja zu dem, was Gott uns gegeben hat. Wir können großartige Dinge damit machen.
Brot für die Diebe
Wenn bestimmte Dinge anders laufen als erwartet, ist es an der Zeit zu lernen, wie Umdenken funktioniert. Ich kann voller Überzeugung behauptet haben, dass es mir zwar wichtig sei, meinem Kind meinen Glauben nahe zu bringen, es schlussendlich jedoch selbst entscheiden soll, ob es etwas damit anfangen kann und woran es glaubt. Wichtig sei doch, dass das Kind überhaupt einen Weg zur Religiosität und Spiritualität findet und von der Existenz dieser Kräfte weiß und diese spürt. Ob es später Christ oder Moslem oder Buddhist oder etwas ganz anderes wird, das sei zwar nicht nebensächlich, aber würde mich als toleranten Menschen nicht stören, sondern vielleicht sogar bereichern. Oder sogar ganz bestimmt. So weit, so gut. Auf jeden Fall jedoch sollte der Glaube an eine höhere, mit Liebe umgebende Kraft das Kind erreichen. Eine Kraft, die durchs Leben trägt, tröstet und Hoffnung schenkt.
Ist nun Umdenken angesagt, frage ich mich, als mir mein Erstklässler erklärt: „Irgendwie denke ich, das stimmt nicht mit den Geschichten über Gott!“
Er argumentiert naturwissenschaftlich. Alles würde irgendwann mal zerfallen, alle Isotope. Die Geschichten aus der Bibel überzeugen ihn nicht. Ich merke, er stellt infrage, was vorher in seinem Kinderglauben eine Selbstverständlichkeit war. Und ich verstehe ihn. „Hör zu“, sage ich, „die Geschichten in der Bibel über Jesus stimmen zum größten Teil. Menschen, die ihn gekannt haben, haben ihre Begegnungen aufgeschrieben. Und ja, wir wissen mittlerweile, dass die Erde nicht in sechs Tagen entstanden sein kann. Du musst auch nicht daran glauben. Es ist okay, den Gottesdienst langweilig zu finden. Die Geschichten in der Bibel dürfen dir alt und unwichtig erscheinen. Du findest für die tollen Dinge in der Natur ganz bestimmt Antworten in der Biologie, Physik, Chemie. Aber eines möchte ich, dass Du weißt: Dass der, der am Anfang stand, am Anfang des Urknalls, der alles erfunden hat. Der alles einmalig macht und dich so geschaffen hast, wie du bist, dass der dich und alles andere auf dieser Welt liebt“. „Auch die Diebe?“. „Auch die Diebe. So ist Gott. Wir Menschen tun uns schwer, die zu lieben, die uns nicht nahe sind. Aber Gott schafft das“. „Wenn er ein Brot hat, dann teilt er es in gleich große Stücke und gibt jedem davon. Auch den Dieben!“
Noch ist Umdenken nicht angesagt, denke ich mir. Doch trotzdem möchte ich umdenken. Ich blicke in mich hinein. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn in ein paar Jahren bei seiner Konfirmation. Doch was fühle ich, wenn er sich dagegen entscheiden sollte? Kann ich wirklich voller Überzeugung behaupten, sein Bekenntnis sei nebensächlich?